Firmenportrait im Schwäbischen Tagblatt

Schnelle Rarität

Die Firma Tübinger Stahlfeinguss am Hirschauer Rittweg ist hierzulande eine Seltenheit: Nur noch eine gute Handvoll vergleichbarer Gießereien gibt es in Deutschland. Der Firmenchef verfolgt ein ganz klares Ziel: „Wir wollen Europas schnellste Feingießerei sein!“

Es ist unglaublich heiß, die Flammen schlagen auf, alles leuchtet hell. Beobachter müssen ihre Augen mit schwarzen Brillen schützen. Was sich wie ein Inferno anhört, ist Alltag am Hirschauer Rittweg – genauer gesagt: bei der Firma Tübinger Stahlfeinguss (TSF).

Abguss Fotograf: Zeitenspiegel

Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller nimmt seine Schutzbrille für einen kurzen Moment ab; er sucht Abstand zum Feuerball, um sich von Produktionsleiter Martin Norz das Prozedere erklären zu lassen. Bei 1700 Grad wird Stahl geschmolzen – ein wichtiger Schritt des Feingießens. Und ein Schauspiel, das in Erinnerung bleibt. Auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist an diesem Tag zu Jahresbeginn bei der Führung durch das Unternehmen dabei – und wird kurz danach bei „Facebook“ posten: „Tübinger Industrie vom Feinsten. Energie sparen und höchste Qualität weltweit, das ist Tübinger Stahlfeinguss.“

Nun gelten grüne Politiker gemeinhin nicht als die größten Förderer der Industrie in den Rathäusern und Ministerien – doch diese Firma hatte es ihnen offenbar angetan. Untersteller

kam, weil der Betrieb vorbildlich ist im Einsparen von Energie und Ressourcen. Das Produktionsverfahren bei TSF wurde seit 2015 so verbessert, dass jährlich 400 000 Kilowattstunden (kWh) Energie eingespart werden können. Unter anderem ein neuer Tauchraum trug dazu bei, der für das Tauchen, Besanden und Trocknen eines Wachsspritzteils benötigt wird. Insgesamt besteht das Verfahren aus elf Schritten auf einer Produktionsfläche von 4 500 Quadratmetern.

 

Das Unternehmen wurde vor 50 Jahren von Inge und Franz Stadtler sowie Carl-Joseph Hilbring gegründet. In Deutschland ist die Tübinger Stahlfeinguss Franz Stadtler GmbH & Co. KG, wie die Firma korrekt heißt, inzwischen eine Rarität. Es gibt nur noch eine Handvoll Feingießereien. Dabei machte TSF im vergangenen halben Jahrhundert einen Wandel durch: von einer Manufaktur im klassischen Sinne zu einem Industriebetrieb.

Geschäftsführer Stephan Strohbücker

„Wir wollen Europas schnellste und flexibelste Feingießerei sein“, sagt der Geschäftsführer Stephan Strohbücker (36), der sich mit der geschäftsführenden Gesellschafterin Johanna Stadtler die Firmenleitung teilt. Von der Zeichnung bis zum fertigen Gussteil sollen nach Mö glichkeit nur 30 Tage vergehen. Schneller dürfte schon jetzt kaum eine Firma sein. TSF will mit individuellen, kleineren Mengen punkten, angefangen bei Prototypenfertigung mittels moderner 3D-Drucktechnik bis hin zu mittelgroßen Serien, und dabei enorm kundenorientiert arbeiten. „Den Benchmark setzen“ nennt Strohbücker das – weil es ein entscheidender Vorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz ist. Ab gewissen Grenzen nach oben, also bei enorm hohen Stückzahlen, „sind andere wirtschaftlicher“. Daher hat TSF eine klare Marktpositionierung.

Es verwundert nicht, dass die Hirschauer Firma wachsen will. Vor allem auch über die Landesgrenzen hinaus. „Wir merken, dass wir an manche Kunden noch nicht rankommen“, sagt Strohbücker. Deshalb wurde auch die Firmenstruktur überdacht, eine Holding geschaffen und die Internationalisierung vorangetrieben. Mit Partnern im Ausland arbeitet TSF bereits zusammen. „So ermöglichen wir Flexibilität und können einen anderen Markt und andere Kunden bedienen“, sagt Strohbücker. Allerdings nicht zu Lasten der Qualität, denn die steht bei TSF über allem. Alle Teile müssen Quality- Gates passieren. Dass keine Massenabfertigung stattfindet und das Feingießer-Know-how einfließt, „hebt uns ganz klar vom ‚Händlermarkt‘ ab“, sagt der Geschäftsführer. Auch etwa bei politischen Krisen und anderen Einflüssen auf die Lieferkette der Kunden hat TSF einen Joker im Ärmel: Die Produkte, die im Ausland produziert werden, können jederzeit auch am Standort Tübingen gefertigt werden.

Viele Kunden der Firma bleiben geheim, sie kommen aus verschiedenen Branchen von der Luftfahrtindustrie bis zu Möbelbau. Auch im Unternehmen darf einiges nicht fotografiert werden. Zu den Unternehmen, die als Geschäftspartner genannt werden dürfen, gehören der Hamburger Pumpenhersteller Fristam und der Medizintechnikhersteller Maquet mit Sitz in Rastatt, der mehrere tausend Mitarbeiter beschäftigt. Beispielsweise hat die Tübinger Feingießerei auch in der Automobilbranche namhafte Partner. Die Lebensmitteltechnik ist ebenso ein wichtiger Markt.

Strohbücker beschreibt TSF „als soliden Mittelständler“, der sich mit etwa 70 Mitarbeitern in der TSF-Gruppe „eine Roadmap“ auferlegt hat. Zu den Zielen gehört insbesondere eine gesellschaftliche Rolle als Betrieb wahrzunehmen, die positiven Aspekte eines Familienbetriebs mit einer modernen Fertigung zu kombinieren und nicht zuletzt auch eine Steigerung des Umsatzes, der sich aktuell im unteren zweistelligen Millionen-Bereich bewegt.

Franz Untersteller war nach seinem Besuch in der Produktion begeistert. Es sei bemerkenswert, wie Industrie und der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen zusammenwirken könnten, sagte der 61-Jährige, der vom „klassischen Beispiel“ der Vernetzung von Ökonomie und Ökologie sprach. Im Frühjahr will TSF eine Photovoltaik-Anlage installieren, deren Ertrag von der Firma vollständig selbst genutzt werden soll. Unterstellers Fazit: „Es handelt sich hier um einen vorbildlichen Betrieb.“